Hallo Ihr beiden!
hab da gerade ein Problem.
Mein Freund Ibrahim, seines Zeichens Kurde aus dem Irak, soll am kommenden Wochenende eine Rede halten über die Probleme, die Flüchtlinge in Deutschland haben.
Da er selbst damit überfordert ist, habe ich mich angeboten, etwas zu schreiben.
Und komme auch gerade an meine Grenzen.
Hier der Entwurf.
Wie findet Ihr das? kann man das vortragen? Was fehlt noch, was sollte besser herausgenommen werden?
Könnte insgesamt etwas länger sein.
Liebe Freunde, liebe Zuhörer, liebe Gäste,
sicher kennen Sie das: Sie planen eine Reise, möchten in Urlaub fahren oder gehen vielleicht auf Geschäftsreise ins noch unbekannte Ausland. Und damit Sie problemlos mit den Einheimischen in Kontakt treten, die Speisekarte im Restaurant verstehen oder nach touristischen Zielen fragen können, belegen Sie einen Crash-Kurs in der Volkshochschule oder einer anderen Einrichtung. Oder besorgen sich zumindest eine Übersetzungs-App für Ihr Smartphone.
Sie merken schon, worauf ich hinaus will: sie bereiten sich auf diese Reise vor, und ohne Zweifel ist das Wichtigste auf dieser Reise gleichzeitig eines der wichtigsten Dinge im Leben: die Kommunikation. Selbst die einfachsten Sachen, die uns in einer misslichen Lage weiterbringen könnten, können wir nicht mehr tun, wenn wir nicht mehr zur Kommunikation in der Lage sind: nach dem Weg fragen, nach der Uhrzeit oder ganz allgemein: um Hilfe bitten.
Das ist das erste und sicher das größte Problem, dem sich ein Flüchtling stellen muß, wenn er nach Deutschland kommt. Niemand weiß zu Beginn seiner Flucht, wo er letztlich ankommen wird. Niemand kann sich gezielt vorbereiten. Und dann kommt dieser Flüchtling, nennen wir ihn einmal stellvertretend Djamal, in Deutschland an und versteht kein Wort.
Was würden Sie tun, wenn niemand Sie verstehen könnte und Sie selbst auch niemanden verstünden? Wie würde es Ihnen ergehen, wie würden Sie sich fühlen dabei?
Djamal ist vor Krieg und Verfolgung geflohen und kommt mit der Hoffnung auf ein Leben in Sicherheit. Kurz nach der Ankunft wird er erstmalig angehört. Viele Fragen, die er nicht versteht, viele Zusammenhänge, die für ihn nicht erkennbar sind. Und dann soll er seine Gründe darlegen, wegen denen er Asyl ersucht.
Nach seinen Erlebnissen fragt ihn niemand. Er hat erleben müssen, wie seine Eltern von IS-Terroristen ermordet wurden, wie sein kleiner Bruder von einer Granate zerfetzt und seine Schwester vergewaltigt und verschleppt wurde. Danach fragt niemand, und er ist auch nicht in der Lage, darüber zu reden. Zu groß sind Angst und Scham und zu stark die Bilder in seiner Erinnerung. Bilder, die er verdrängen muß, um mit ihnen weiterleben zu können.
Viele, sehr viele leiden unter einer posttraumatischen Belastungsstörung. Sie können keine
widerspruchsfreie und detaillierte Begründung ihrer Flucht abgeben. Auch der Austausch mit anderen Flüchtlingen bleibt oft oberflächlich. Diese sind ebenso traumatisiert.
Allein die deutsche Sprache nicht zu verstehen und sich nicht mitteilen zu können, macht schon genügend Angst. Doch dazu gesellen sich schnell viele weitere Ängste.
Die, die zu uns kommen, haben alles verloren. Ihre Heimat, ihre sozialen Bindungen, ihr gesamtes Hab und Gut, ihre Lebensart und einen Teil ihrer Kultur. Oftmals besitzen sie nur das, was sie auf dem Leibe tragen. Manch einer verliert gar seine Identität.
Wie wird es für Djamal weitergehen? Wird er in Deutschland bleiben können? Sein Aufenthalt wird immer nur für kurze Zeit verlängert, zwei Wochen bis sechs Monate.
Und dann? Was dann? Wird er wieder abgeschoben, droht ihm eine erneute Verfolgung in seiner Heimat? Muß er wieder um sein Leben fürchten?
Wer von Ihnen kann sich ein Bild davon machen, sich in die Lage versetzen und nachempfinden, wie es ist, tagein, tagaus mit einer tiefen Angst leben zu müssen?
Medizinische Versorgung – ja, die gibt es. Psychologische Betreuung vielleicht in Ansätzen.
Aber psychotherapeutische Hilfe? Nein, die erfährt Djamal nicht. Diese ist nicht vorgesehen.
Psychotherapie erfolgt über Sprache und erfordert einen Dolmetscher. Aber Dolmetscher sind dünn gesät – und sie kosten Geld. Ebensowenig gibt es einen Anspruch auf einen Sprachkurs. Viele leben oft Jahre im Land, ohne deutsch zu lernen.
Das Leben in einem Flüchtlingsheim bietet weder Luxus noch Abwechslung.
Djamal erfährt, dass Familienmitglieder es auch bis nach Deutschland geschafft haben. Sie leben nicht einmal besonders weit entfernt von ihm. Dennoch kann er sich nicht mit ihnen treffen, sie nicht wiedersehen. Das Gebiet, in dem er sich bewegen darf, ist beschränkt. Aufgrund der „Residenzpflicht“ darf er es nicht verlassen. Und selbst wenn er es dürfte, wäre es schwierig. Öffentliche Verkehrmittel kosten Geld, und Geld ist immer knapp. In manchen Kommunen gibt es nur Sachleistungen und kein Bargeld. Somit ist nicht einmal eine Kontaktaufnahme mit dem Telefon oder Handy möglich.
Djamal ist gesund, er könnte arbeiten und Geld verdienen. Aber das darf er erst nach längerem Aufenthalt. Und nur, wenn er keinem Deutschen den Arbeitsplatz wegnimmt.
Die Hürden, zu einer Arbeit zu kommen, sind extrem hoch. Und damit schwindet die ohnehin schwache Hoffnung auf eine eigene Wohnung und ein selbständiges Leben.
Die Lebensplanung, die er vor Jahren gemacht hat, ist dahin. Einen sicheren Arbeitsplatz zu haben, eine Wohnung, eine Familie zu gründen. All das ist in weite Ferne gerückt. Vielleicht für sehr viele Jahre, vielleicht für immer.
Ein Großteil der Wohnheime und Wohncontainer befinden sich am Stadtrand. Damit sind lange Wege – und meist eben Fußwege – an der Tagesordnung. Und das macht es auch schwierig, Distanz zu den anderen Flüchtlingen zu bekommen. Dort, wo viele Menschen auf engem Raum leben müssen, wird es zwangsläufig zu Reibereien und Konflikten kommen. Erst recht, wenn verschiedene Ethnien, verschiedene Kulturen und Religionen aufeinandertreffen. Dazu kommen die Konflikte, die sich mit den Einheimischen ergeben.
Auch hier spielt die Sprache eine maßgebliche Rolle. Dazu kommen natürlich die kulturellen Unterschiede.
Wandern wir einmal um 150 Jahre zurück und sehen uns an, welche Bademoden Mitte des 19. Jahrhunderts üblich waren. Die Damen trugen wadenlange Hosen, darüber ein verhüllendes Überkleid. Für die Herren gab es Badetrikots, die bis über die Oberschenkel reichten.
Erst nach dem Zusammenbruch des Kaiserreiches wurde die Bademode frecher. Man zeigte Haut, die Knie wurden sichtbar, Trikot und Badeanzug waren geboren. Wobei der Badeanzug den Oberkörper der Frau vollständig bedecken musste. Und erst 1928 durften Frauen und Männer gemeinsam baden gehen.
Das ist keine hundert Jahre her, aber offenbar längst vergessen. Dafür wird heute heftig und kontrovers über den Burkini diskutiert.
Überhaupt: sehr vielen Deutschen sind Flüchtlinge suspekt. Sie sprechen eine andere Sprache, bringen eine andere Kultur mit, andere Verhaltensweisen, andere Lebensweisen, andere Sichtweisen. Ganz zu schweigen von der Religion. Es ist gerade der Islam, der vielen Einheimischen Unbehagen, ja Angst bereitet. Eine Religion, die sehr schnell mit Islamismus, Radikalismus und Terrorismus in Verbindung gebracht wird. Was gegenwärtig im Irak und in Syrien geschieht, erfahren wir täglich aus den Nachrichten. Der IS ist mit seinem Terror überall präsent. Aber wird dürfen nicht vergessen, dass die Menschen, die aus diesen Ländern zu uns kommen, ebenso vor diesem Islamismus, Radikalismus und Terrorismus geflohen sind. Die Angst darf uns nicht trennen und lähmen, sie sollte uns zu Verbündeten machen.
Den Jugoslawen an der einen Ecke, den Griechen an der anderen Ecke, und das Chinarestaurant am Ende der Straße kennen wir alle und haben sie schätzen gelernt.
Das Döner gehört auch schon längst zu unserem Alltag. All das, denke ich, stellt eine Bereicherung für uns dar. Warum nicht auch die Menschen, die dahinterstehen?
Wenn wir uns vor Augen halten, dass vor 26 Jahren eine große Mauer zwischen Menschen gefallen ist, wenn wir darüber nachdenken, dass über diesen Zeitraum viele, viele Probleme gelöst und Veränderungen erreicht wurden, sollten wir nicht die Augen verschließen, in Angst erstarren und uns lethargisch den Dingen ergeben. Trotz der Probleme, trotz der Schwierigkeiten, die noch vor uns liegen, sollten wir auch die Erfolge sehen.
Und es darf nicht so weit kommen, dass uns die Bilder, die die Medien uns immer wieder vor Augen führen, abstumpfen. Wenn uns irgendwann ertrunkene Kinder, die an einen Strand gespült werden, nicht mehr berühren, haben wir das verloren, was uns zu Menschen macht.